Innovative Modelle für die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
12. Juni 2022 / Gastbeitrag von Dr. Gerald Bachinger, NÖ PatientInnen- und Pflegeanwalt & Sprecher der Patienten- und Pflegeanwaltschaften
Die Herausforderung, eine angemessene, ausreichende und umfassende medizinische Versorgung und Betreuung im ländlichen Raum flächendeckend aufrecht zu erhalten, wird immer größer. Das bisher durchaus ausreichende Modell der KassenvertragsärztInnen stößt zunehmend an seine Leistungsgrenzen und bekommt Risse und Lücken.
Noch vor wenigen Jahren gab es bei nahezu jeder zu besetzenden Kassenvertragsstelle mehrere BewerberInnen, heute können bereits viele Planstellen jahrelang nicht besetzt werden. Dieser Trend wird sich noch massiv verstärken, wenn in den nächsten Jahren 60 bis 70 Prozent der KassenvertragsärztInnen in Pension gehen. Die junge Generation ist gewohnt, im Team zu arbeiten und multiprofessionell tätig zu sein, und erwartet ein Höchstmaß an Work-Life-Balance sowie flexible Arbeitszeitmodelle. Dafür braucht es eine gegliederte, flexible Organisationsform.
Primärversorgungszentren und regionale Gesamtlösungen
Neue und innovative Primärversorgungszentren, wie etwa das PVZ in Enns[1] sind wertvolle Versorgungsformen der Zukunft, die den neuen Anforderungen gerecht werden und die Bedürfnisse der PatientInnen wie auch der ÄrztInnen und der weiteren Gesundheitsberufe erfüllen können. Zwar müssen dadurch oft weitere Wegstrecken in Kauf genommen werden, aber die Praxis ums Eck, die sieben Tagen die Woche rund um die Uhr für alle PatientInnen zur Verfügung steht, ist ein Mythos. Die Realität am Land ist so, dass bestehende Kassenordinationen nur für ganz kleine Teile der Bevölkerung wirklich zu Fuß erreichbar sind.
Ein wichtiges Element einer Primärversorgung als erste Anlaufstelle ist, dass nicht nur die eigentlichen ärztlichen Dienstleistungen, sondern auch jene anderer Gesundheitsberufe in Kooperation und Abstimmung angeboten werden. Dieser umfassende Ansatz erspart den PatientInnen viele Wege, viel Zeitaufwand und bringt dank der hier möglichen gesamthaften Betreuung ein wesentlich besseres Behandlungsergebnis.
Es zahlt sich auch aus, über den eigenen Horizont hinauszusehen und zum Beispiel das regionale Versorgungsprojekt „Gesundes Kinzigtal[2]“ im ländlichen Baden-Württemberg zu betrachten. Der umfassende regionale Ansatz, mit einer starken Betonung der Primärversorgung, deckt die Bedürfnisse der Bevölkerung bestens ab. Die Gesundheitsberufe drängen in die Region und es gibt keine Nachwuchs- bzw. Rekrutierungsprobleme. Überdies zeigt die ökonomische Evaluierung mit den bestehenden Standardmodellen, dass diese regionale Versorgungsform günstiger ist als die traditionellen Modelle.
Neue positive Haltung zu digitaler Gesundheit und e-Health-Anwendungen
Corona hat die Einstellung zu diversen digitalen Werkzeugen in Richtung einer sehr positiven Grundhaltung geändert. Allerdings nicht nur, weil die Vorteile von e-Health-Anwendungen an sich erkannt wurden, sondern auch aufgrund der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, wie etwa „social distancing“, hygienische Standards, Abstandhalten und ähnliche Vorgaben. Dies wird in einer repräsentativen Gallup[3]-Umfrage evident.
Auf die Aussage „Es sollte wissenschaftlich untersucht werden, welche bereits vorhandenen Medikamente und Behandlungen eventuell auch zur Bekämpfung der Covid-19-Erkrankungen erfolgreich eingesetzt werden könnten“ antworteten im Durchschnitt 97 Prozent der Befragten mit „ja“, bei den über 60-Jährigen waren es sogar 99 Prozent.
Für den Satz „Für die Forschung zur Bekämpfung des Coronavirus an österreichischen medizinischen Universitäten und anderen fachlich einschlägigen Universitätsinstituten sollten alle in Österreich vorhanden Quellen von Gesundheitsdaten unter strikter Einhaltung der gesetzlichen Regelungen miteinander verknüpft werden dürfen“ gibt es ähnliche hohe Zustimmungswerte: 91 Prozent aller Befragten sowie 94 Prozent bei den über 60-Jährigen bejahten dies.
Auftrag an die Politik
Diese hohen Zustimmungswerte zeigen der Gesundheitspolitik nicht nur Möglichkeiten auf, sondern geben ihr einen klaren Auftrag, in dieser Richtung rasch und umfassend vorzugehen. Wie auch eine aktuelle IFES-Umfrage der Vinzenz-Gruppe über „Patientenbedürfnisse, die Wünsche der Patienten“[4] die gleichen positiven Einstellungen zu diesen neuen digitalen Anwendungen zeigt.
Die Bevölkerung wie auch die PatientInnen fordern daher durch den Einsatz von digitalen Technologien unterstützte umfassende neue Versorgungsmodelle, die die individuelle Behandlung verbessern und die Versorgungssituation insgesamt optimieren wie auch den wissenschaftlichen Fortschritt zur bestmöglichen Behandlung der Bevölkerung unterstützen.
Innovative Primärversorgungsmodelle mit Primärversorgungszentren, eingebettet in regionale Versorgungsmodelle und verstärkt durch die Anwendungen der digitalen Gesundheit, können und werden bestehende Versorgungsprobleme im ländlichen Bereich lösen. Dazu braucht es den Mut, neue Wege zu beschreiten, und es braucht den Mut, diese neuen Modelle besonders zu fördern und zu unterstützen.
Mehr über die Möglichkeiten, welche die Digitalisierung eröffnet, um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu verbessern, können Sie auf der e-Health-Tagung im Rahmen der e-Government Konferenz 2022 der ADV erfahren.
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[1] https://www.ghz-enns.at/
[2] https://www.gesundes-kinzigtal.de/
[3] Akzeptanz der Verwendung von Gesundheitsdaten in der Forschung zur Bekämpfung von Covid-19; März/April 2020
[4] Patientenbedürfnisse/Wünsche der Patienten, IFES, November 2020