e-Health 2021 – Was kommt nach dem „Peak“?
Beitrag von Hans Burkard, ADV Advisory Bord
Die Aufbruchsstimmung ist verebbt. Ist die e-Health-Revolution ausgeblieben?
Vor einem Jahr stand folgendes Zitat auf der Titelseite der New York Times: „Telemedicine Arrives in the UK: 10 Years of Change in One Week“.1 Nicht nur in UK, auch im DACH-Raum war die Aufbruchstimmung spürbar und trotz der Tragik der Pandemie war die Situation für eine e-Health-Revolution günstig: Um das Ansteckungsrisiko zu mindern, zeigten Bürgerinnen und Bürger eine bis dahin undenkbare Bereitschaft, digitale Services zu nutzen. Im 2. Quartal 2020 konsultierten Patientinnen und Patienten in Deutschland 1,2 Millionen Mal eine Ärztin oder einen Arzt sowie eine Psychotherapeutin oder einen -Therapeuten per Video. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2019 gab es in Deutschland nur 3.000 Videosprechstunden.2 Eine von der österreichischen Patientenanwaltschaft mitgetragene Gallup-Studie zeigte mit 91 % Zustimmung, dass die österreichische Bevölkerung angesichts der Pandemie auch viele Bedenken bezüglich des Datenschutzes hintanstellte und für die anonymisierte Verwendung der Gesundheitsdaten zu wissenschaftlichen Zwecken volle Zustimmung zeigte.3 Dies widersprach gänzlich den bisherigen Einschätzungen durch Politik und Gesundheitsorganisationen.
Die Gesundheitsdienste-Anbieterinnen und- Anbieter sahen in der Virtualisierung die große und oft einzige Chance, die Versorgung, Pflege und Betreuung der Bürgerinnen und Bürger aufrecht erhalten zu können, ohne die Beschäftigten oder Kundinnen und Kunden einer Ansteckungsgefahr auszusetzen. Mit einer zusätzlichen Anschubfinanzierung erreichte man in Deutschland, dass die Zahl des ärztlichen Fachpersonals mit einem Angebot von Videokonsultationen von 168 im 4. Quartal 2019 auf 31.397 im 2. Quartal 2020 anstieg.4 Auch in der Schweiz und in Österreich wurde diese Möglichkeit von den Gesundheitsdienste-Anbieterinnen und- Anbietern mehr oder weniger intensiv aufgegriffen.
Eher ein Glücksfall war, dass die gesetzlichen Regulierungen im DACH-Raum bereits Ende 2019 wegweisende Maßnahmen vorsahen. In Deutschland war 2019 das Digitale-Versorgung-Gesetz (DGV) in Kraft getreten, welches neben kräftigen finanziellen Hilfen dem Gesundheitssystem zu revolutionären neuen Rahmenbedingungen verhalf. Am bekanntesten davon sind die DiGAs; digitale Gesundheitsanwendungen, also Apps, die auf Rezept verschrieben werden können. Die Schweiz war DACH-Vorreiter mit dem Impfportal „meineimpfungen.ch“. In Österreich konnte das bereits 2019 laufende Pilotprojekt für Telemedizin schnell auf den gesamten niedergelassenen Bereich ausgeweitet werden. Damit war nicht nur die Kassenvergütung der Leistungen geregelt, sondern unter Nutzung der ELGA-Plattform konnten auch e-Krankschreibungen, e-Rezeptur, e-Medikation und e-Impfpass rasch realisiert werden.
Eineinhalb Jahre später und was ist von der Aufbruchstimmung geblieben?
Sicher die ernüchternde Einsicht, dass „10 Years of Change in One Week“ eine Illusion war. Trotz „Fast Track“ wurde erst in diesen Tagen die 19. DiGA zur Verschreibung zugelassen – es gäbe Hunderte davon, die sinnvoll oder notwendig wären. Der Betrieb von „meineimpfungen.ch“ musste aufgrund von Sicherheitsproblemen kurz nach Freischaltung stillgelegt werden. Bis heute kämpft die Plattform mit enormen Schwierigkeiten. Auch wenn in Österreich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Telemedizin geschaffen wurden, greifen die Gesundheitsdienste-Anbieterinnen und- Anbietern diese Möglichkeit nur in sehr beschränktem Umfang auf. Die am meisten genutzten Erleichterungen für die Bevölkerung, die e-Krankschreibung und e-Rezeptur sind an die Pandemie gebunden und sollen wieder eingestellt werden. Der e-Impfpass umfasst nach wie vor nur die COVID-Impfungen.
Dennoch zeigt eine kürzlich erschienene McKinsey Studie5, dass sich der Telehealth-Einsatz nach einer absoluten Spitze im April 2020, wo er das 78-fache vom Februarwert 2020 erreichte, auf einem Niveau des 38-fachen des Februarwerts einpendelt hat. Telehealth ist also „angekommen“, wenn auch noch in sehr ausbaufähigem Umfang.
Der Nutzen wird sich in der Zukunft deutlich zeigen
Der eigentliche Nutzen der e-Health-Revolution liegt jedoch nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft: Wir wissen jetzt sehr genau, worauf wir in den kommenden Jahren neben der Absicherung der unmittelbaren Herausforderungen hinarbeiten müssen:
- Als Erstes auf die Innovation der Services für Patientinnen und Patienten: Wir benötigen ein wertorientiertes Gesundheitssystem mit Gesundheitsdienstleistungen, die über digitale Portale für alle erreichbar sind und interaktiv zu erfahrbarem Mehrwert führen.
- Zweitens müssen wir das „workforce empowerment“ vorantreiben. Eine Beschränkung auf Datenhaltung ist zu wenig: Wir müssen durch Daten steuern, sie zum richtigen Moment am richtigen Ort verfügbar machen, durch KI neue Einsichten gewinnen und durch Entscheidungsunterstützung die Effizienz und Effektivität der Gesundheits-Workforce steigern.
- Zuletzt bedarf es einer hohen operationalen Effizienz. Auch im Gesundheitsbereich kann durch automatisierte Analysen und KI vieles automatisiert und Versorgungsengpässe reduziert werden.
Wir wissen jetzt, dass wir mit diesen drei Stoßrichtungen die Resilienz des Gesundheitssystems erhöhen und dadurch eine Zukunft schaffen können, die uns befähigt, Ungewissheiten und Unplanbares zu bewältigen.
Quellen:
1 NY Times, 07.04.2020
2 BV (Kassenärztliche Bundesvereinigung), Praxisnachrichten vom 4.2.2021; https://www.kbv.de/html/1150_50419.php ; abgerufen 9.8.2021
3 Gallup Institut, Akzeptanz der Verwendung von Gesundheitsdaten in der Forschung zur Bekämpfung von COVID-19:Repräsentativerhebung der Meinungen der österreichischen Bevölkerung, März/April 2020.
4 KBV (Kassenärztliche Bundesvereinigung), Praxisnachrichten vom 4.2.2021; https://www.kbv.de/html/1150_50419.php ; abgerufen 9.8.2021
5 Mc Kinsey, Telehealth: A quarter-trillion-dollar post COVID-19 reality?, Update form July 9, 2021.